Natur-/Terroirwein statt Önologenbrühe

"Rein eingeschenkt" vom Weinmanager - Folge 5

Ein Hoch auf die moderne Önologie!? Die Wissenschaft vom Wein hat unbestritten beträchtlichen Anteil daran, dass die durchschnittliche Weinqualität in den letzten 20 Jahren dramatisch gestiegen ist. Aber es gibt auch eine Kehrseite der Medaille und so ist die moderne Önologie Segen und Fluch zugleich. Sie verführt nämlich auch dazu, die Weine durch Einsatz eines Höchstmaßes an Technik und "Hilfsstoffen" auf ein dem Mainstream angepasstes Geschmacksmuster zu trimmen - ganz und gar nicht meine Vorstellung von Wein ...

Gerade beim Wein wird heute doch so gerne und oft der Terroir-Begriff propagiert. Dabei lautet die ebenso einfache wie plakative Formel: Je mehr moderne Verfahren (wie zum Beispiel Mostkonzentration) und  "Zusatzstoffe" bei der Weinbereitung eingesetzt werden desto austauschbarer das Endprodukt - also "Einheitsgeschmack" statt Natur-, Herkunfts-, Jahrgangs- und Rebsortencharakter. Aber ist es nicht genau das, woran sich echte Liebhaber und Kenner bei ihrem Lieblingsgetränk Wein so ergötzen?

Um Wein im wahrsten Sinne des Wortes zu "machen" und die Natur auszubremsen, steht den Winzern heute ein breites Portfolio aus der "Hexenküche" der Önologie zur Verfügung. Beim Blick in den OeneGuide von Erbslöh (PDF zum Download) bleibt einem wahrlich die Spucke weg. Wüsste ich es nicht besser, könnte mir glatt die Lust auf Wein vergehen. So entsteht allenfalls sterile Önologenbrühe, aber sicher kein Naturprodukt. Doch genau das soll Wein für mich sein. Deshalb ist mein Sortiment auf Terroirweine ausgerichtet, die im Einklang mit der Natur erzeugt werden und mit Naturhefen spontan vergoren sind  - also biologisch oder biodynamisch, egal ob mit oder ohne Zertifizierung. Von Winzern, die an ihr Terroir glauben und vor allem auf die Kraft der Natur bzw. einer intakten Mikrobiologie im Weinberg setzen und im Keller önologische Praktiken behutsam einsetzen.

Notiz am Rande, die ich dem Leser zur individuellen Bewertung überlasse: Als international agierendes Unternehmen im Bereich der Getränketechnologie hat Erbslöh seinen Sitz in Geisenheim (Rheingau), wo es eng mit der dort ansässigen bekanntesten deutschen Weinbau-Hochschule Geisenheim University zusammenarbeitet. Tief blicken lässt die dort gängige Lehrmeinung in Bezug auf die Spontangärung mit wilden Hefen (Naturhefen), ein wichtiges Merkmal der Naturweine: "Selbstverständlich können durch eine Spontangärung, also durch die zufällige Anwesenheit und Zusammensetzung der Mikroorganismenflora in einem Most, excellente Weine entstehen, jedoch sieht die Wirklichkeit meistens so aus, dass mittelmäßige bis schlechte, teilweise nicht vermarktungsfähige Weine produziert werden." Nachzulesen unter diesem Link - Stichwort Gärungs-Management. 

Dass ich genau solche Weine anbiete und um viele Önologen-Schöpfungen einen großen Bogen mache, lässt dann wohl nur folgende Rückschlüsse zu: Meine Kunden sind die Dümmsten der Welt, dass sie diese misslungenen Weine hoch zu schätzen wissen. Und ich bin entweder ein verblendeter Ideologe, der keine Ahnung von Wein hat, oder - noch schlimmer - ein skrupelloser Geschäftemacher. Aber genug provoziert, bleiben wir sachlich: Unbestritten ist das Risiko bei der Spontangärung höher als beim Einsatz von Reinzuchthefen, so wie generell bei der biologischen und biodynamischen Weinerzeugung im Vergleich zur konventionellen. Die Winzer, die sich für diesen Weg entschieden haben, nehmen dieses Risiko aber gerne in Kauf. Oft aus Ideologie, aber bei weitem nicht nur ...

Bestes Beispiel sind hier die hochwertigen, klassifizierten Bordeaux-Weine. Die meisten der berühmten Châteaux produzieren mittlerweile biologisch bzw. biodynamisch oder befinden sich in der Umstellungsphase. Aber warum nur? Traditionell hat man im Bordelais mit Ideologie wenig bis gar nichts am Hut. Vielmehr verfolgen die berühmten Weingüter die gleiche Strategie, mit der sie ihre Weine schon seit Jahrhunderten qualitativ an der Weltspitze halten: alle Maßnahmen zu ergreifen, von denen sie überzeugt sind, dass sie ihre Weine noch besser machen.

Ein anderes Beispiel: die einzigartigen Rieslinge von meinem "Weingut des Jahres 2023", Carl Loewen in Leiwen / Mosel, spontan vergorene Naturweine auf allerhöchstem Niveau. Und dann ist da noch die unbestreitbare Tatsache, dass auffallend viele, wenn nicht sogar die meisten der besten Weine der Welt heute auf völlig natürliche Weise und mit Spontangärung hergestellt werden. Eine Erkenntnis, die sich irgendwann vielleicht auch bis Geisenheim herumsprechen wird ...

Natürlich will ich die Önologie nicht pauschal verteufeln. Die Frage ist nur, wie sie eingesetzt wird. Önologen, die jedem Wein ihr bevorzugtes Geschmacksprofil aufdrücken wollen anstatt das Terroir und die speziellen Stärken eines Weinguts bestmöglich herauszuarbeiten, tun der Weinwelt keinen Gefallen. Trotzdem muss man daraus keinen Glaubenskrieg machen. Denn jeder kauft die Weine, die zu ihm passen - nicht mehr und nicht weniger als eine Frage des persönlichen Geschmacks und der eigenen Ernährungs-/Lebensphilosophie.

Manfred Hailer, im Januar 2024

Weinmanagement
Manfred Hailer

Vogelleite 1
85276 Pfaffenhofen
T +49 (0) 173 3719312

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