"Rein eingeschenkt" vom Weinmanager - Folge 10
Die Bordeaux-Subskription für den Jahrgang 2023 klingt so langsam aus. Ein weiterer großer Jahrgang, unglaublich viele Weine mit Top-Bewertungen und das zu sensationell günstigen Preisen. Also schnell noch zuschlagen und diese einmalige Chance nicht ungenutzt verstreichen lassen ... Doch stopp, ich habe ein Déjà-vu! Hören wir das in leichten Varianten nicht jedes Jahr, wenn die Primeur-Kampagne angekurbelt werden soll? Und am Ende ist dann doch wieder nicht alles Gold, was hier (künstlich) zum Glänzen gebracht wird ...
Dass man einen zum Verkauf anstehenden Jahrgang nicht ohne Rücksicht auf Verluste "totschreibt", dafür hat jeder Weinliebhaber Verständnis. Ein Mindestmaß an realistischer Einschätzung und Fairness kann er aber erwarten. Werfen wir vor diesem Hintergrund einen kritischen Blick auf Primeur-Kampagne und Bordeaux-Subskription für den Jahrgang 2023. Witterungstechnisch und im Weinberg stellte er die Weingüter vor große Herausforderungen, denen bei weitem nicht alle gewachsen waren. Deshalb wurde er von den Fachleuten in puncto Qualität anfangs verhalten eingeschätzt.
Das macht es umso bemerkenswerter, wie sich der "Wind" ganz plötzlich gedreht hat als es auf die Primeur-Kampagne zuging. Es dauerte nicht lange bis alle Weinkritiker und natürlich auch die Weinhändler, die Subskriptionsgeschäft betreiben, in die Lobeshymnen auf den Bordeaux-Jahrgang 2023 einstimmten. Es ist doch Jahr für das Jahr das gleiche Spiel: Je näher die Subskription rückt umso besser wird der Jahrgang. Und sonnenklar: Auch 2023 hat sich mittlerweile als hervorragend herausgestellt und man muss die Weine unbedingt kaufen ...
Die Stunde der Wahrheit wird aber erst schlagen, wenn die Weine ab Herbst 2026 von den Châteaus ausgeliefert werden. Denn dann können sich auch die "normalen" Weinliebhaber ihr Urteil über die Weine bilden und die Bewertungen kritisch hinterfragen. Es ist zu befürchten, dass sich der Jahrgang 2023 - wie schon viele andere zuvor - unter die "Verlierer" einreihen wird. Weil die "Schönschreiber" ihre Bewertungen dann nach unten korrigieren müssen, wenn sie sich nicht unglaubwürdig machen wollen. Aber die ursprünglich höheren Punkte waren zu diesem Zeitpunkt natürlich völlig berechtigt. "Schuld" haben nur die Weine selbst, weil sie sich auf der Flasche doch nicht so gut entwickelt haben wie erhofft ...
Stichwort Primeur-Verkostung von Weinen, die eigentlich noch im Fass liegen ... Es ist gängige Praxis, dass viele Weingüter dafür Musterflaschen gezielt zusammenmischen. Und zwar so, dass sich der Wein bei der Verkostung bestmöglich präsentiert und den Geschmack der führenden Weinkritiker/-journalisten trifft. Nur die wenigsten Châteaus stellen bereits "en primeur" ihren Wein in der endgültigen Assemblage zur Verkostung an. Bei vielen weicht der spätere Flascheninhalt bezüglich Mischungsverhältnis der Rebsorten und Verschnitt der Fässer mehr oder weniger stark von der Primeur-Verkostung ab. Probates Mittel im Kampf um Punkte oder Etikettenschwindel?
Aber auch unabhängig von solchen Überlegungen stellt sich eine grundsätzliche Frage: Ist es überhaupt möglich, so unfertige Weine wie bei der Primeur-Verkostung hinsichtlich ihrer weiteren Entwicklung verlässlich zu beurteilen? Wenn ich das jemandem zutraue, dann dem erfahrenen Kellermeister, der die Trauben und anschließend die werdenden Weine tagtäglich verkostet und auf langjährige Vergleichswerte zurückgreifen kann - subjektive Verkostungseindrücke ebenso wie objektive Analysedaten. Deshalb kann ich nur empfehlen, den Veröffentlichungen über die Primeur-Verkostung mit einer gesunden Portion Skepsis zu begegnen oder ihnen zumindest nicht blind zu vertrauen.
Wenigstens bei den Preisen sollte der Jahrgang 2023 am Ende nicht zu den Verlierern zählen. Ein nennenswertes Geschäft dürfen sich die Subskriptionskäufer von ihm aber auch nicht erhoffen. Immerhin haben die Châteaus die Zeichen der Zeit erkannt und beim Jahrgang 2023 - nach Jahren teils schamloser Steigerungen - deutliche Preisabschläge von bis zu 40 % vorgenommen. Das war auch dringend nötig, um das Subskriptionsmodell als wichtige Säule der Vermarktung nicht weiter ins Wanken zu bringen. Denn: Die Bordeaux-Subskriptionen in den Jahren 2017 bis 2021 waren für die Käufer gerade bei den sehr teuren Weinen ein Verlustgeschäft - sogar wenn man Verzinsung und Lagerhaltung nicht mit einrechnet. Viele dieser Weine kann man heute billiger als in der Subskription kaufen.
Der Hintergrund: Die Negociants im Bordelais und auch große Bordeaux-Händler hierzulande sitzen noch auf stattlichen Beständen aus den Vorjahren - auch aus wirklich großen Jahrgängen jüngerer Zeit wie 2016, 2018, 2019 und 2020. Die Rechnung, die Preise mit einer künstlichen Verknappung hoch zu halten, geht spätestens seit dem weitgehenden Rückzug der Chinesen vom Bordeaux-Markt nicht mehr auf. Ganz stark ist dies auch auf dem Auktionsmarkt zu spüren (siehe meine Kolumne Juli 2024).
Ob die 2023er Subskriptionspreise bereits die dauerhafte die Rückkehr zur Vernunft bedeuten, bleibt abzuwarten. All die Probleme sind "systembedingt". Deshalb kommt immer wieder die Frage auf, ob sich der Kauf in Subskription überhaupt noch lohnt oder ob sie ein Auslaufmodell ist. Ich persönlich habe mich schon lange aus dem Subskriptionsgeschäft zurückgezogen. Und auch eines der berühmtesten Weingüter im Médoc, der 1er Grand Cru Classé Château Latour, hat dem gängigen System bereits den Rücken gekehrt. Latour gibt seine Weine mittlerweile erst nach mehrjähriger Reife frei und hat im März 2024 den Jahrgang 2017 (!) auf den Markt gebracht. Ob das die ersten Auflösungserscheinungen des traditionellen Bordeaux-Vermarktungssystems sind? Es wird spannend sein, die weitere Entwicklung zu verfolgen.
Um keinen falschen Eindruck zu erwecken: Bei aller Kritik am Vermarktungssystem bin ich - wenn es um die Qualität der Weine geht - nach wie vor ein glühender Verehrer der einzigartigen Weine aus Bordeaux. Man sollte nur genau aufpassen, welche Weine man trinkt und wo bzw. auf wessen Empfehlung man sie kauft ...
Manfred Hailer, im September 2024